Brandenburg: Mehr Extremisten in allen relevanten Phänomenbereichen

Schröter: „Sicherheitsbehörden und Zivilgesellschaft stehen vor wachsenden Herausforderungen“

Potsdam

Überregional

Kategorie
Vorbeugen und Schützen
Datum
05.07.2018

Für das Jahr 2017 ist in allen relevanten extremistischen Phänomenbereichen ein Aufwuchs der Personenpotenziale feststellbar. Das erklärte heute Innenminister Karl-Heinz Schröter bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes. Nach seinen Angaben stehen Sicherheitsbehörden und Zivilgesellschaft aufgrund dieser Entwicklung „vor wachsenden Herausforderungen“.

Rechtsextremismus

Im Jahr 2017 erreichte das rechtsextremistische Personenpotenzial mit 1.540 (+ 150) den zweithöchsten Stand seit 1993. Erstmals seit 2014 rückläufig waren jedoch die rechtsextremistisch motivierten Gewaltstraftaten mit 124 (- 43).

Schröter: „Dieser Prozess spiegelt eine hohe Szene-Dynamik vor allem als Reaktion auf die Flüchtlingssituation wider. Vor dieser Entwicklung warnt der Verfassungsschutz bereits seit längerem. Teilweise überlagern sich dabei die verschiedenen Milieus. Es gibt auch gezielte Versuche von Rechtsextremisten, Bündnisse mit bürgerlichen Protestmilieus einzugehen. Dabei entstehen durchaus problematische Mischszenen.“

Nach Angaben von Verfassungsschutz-Chef Frank Nürnberger ist die „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ (NPD) mit ihrer ab 2014 breit angelegten, fremdenfeindlichen Anti-Asyl-Kampagne gescheitert. Nürnberger: „Die NPD wollte damit die treibende Kraft der Protestbewegung innerhalb wie außerhalb des rechtsextremistischen Milieus werden. Ihre Aktivitäten sind im Jahr 2017 jedoch weitgehend zusammengebrochen.“ Das schlägt sich ebenso in ihrer Mitgliederentwicklung nieder. 2017 waren es nur noch 280 Mitglieder (- 20). Auf kommunaler Ebene hat die Partei ebenfalls an Handlungsfähigkeit eingebüßt. Von ihren ursprünglich 48 kommunalen Mandaten nimmt sie nur noch 37 wahr. Sie unterhielt im Jahr 2017 insgesamt neun (+ eins) Kreisverbände, von denen kaum noch Aktivitäten ausgingen. Der erst 2014 gegründete Landesverband der „Jungen Nationaldemokraten“ ist 2017 praktisch nicht mehr in Erscheinung getreten.

Nach Nürnbergers Angaben gelingt es stattdessen der stramm neonationalsozialistisch ausgerichteten Organisation „DER DRITTE WEG“, einen ideologisch-organisatorischen Führungsanspruch geltend zu machen. „Diese Kleinpartei hat zwar nur unverändert 30 Mitglieder und drei Stützpunkte in Brandenburg. Aber ihre Aktivitäten und ihr Einfluss auf die gesamte rechtsextremistische Szene haben spürbar zugenommen.“ Im Vergleich dazu ist die andere Kleinpartei „DIE RECHTE“ ohne Bedeutung und mit ihren rund 35 Mitgliedern (+ zehn) nach außen praktisch nicht in Erscheinung getreten. Nürnberger: „Wie ‚DER DRITTE WEG‘ wollen auch hier Neonationalsozialisten den Parteienstatus für Aktivitäten nutzen, um sich vor vereinsrechtlichen Verboten zu schützen. So dient ‚DIE RECHTE‘ in Brandenburg nur als Fassade, hinter der sich die ‚Kameradschaft Märkisch Oder Barnim‘ verbirgt.“

Neben Parteien, beziehungsweise sich als Parteien ausgebenden Organisationen mit ihren insgesamt 345 Mitgliedern (- zehn), wird das rechtsextremistische Personenpotenzial seit dem Jahr 2017 von allen Verfassungsschutzbehörden in die Kategorien „Rechtsextremisten in parteiunabhängigen Strukturen“ und „weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial“ eingeteilt, um aktuelle Entwicklungen besser abbilden zu können. Das „weitgehend unstrukturierte rechtsextremistische Personenpotenzial“ umfasste im Jahr 2017 insgesamt 1.030 Personen (+ 110). Damit sind rund zwei Drittel der dem Verfassungsschutz Brandenburg bekannten Rechtsextremisten nicht in Parteien oder parteiunabhängigen Strukturen eingebunden. Nürnberger: „Gleichwohl bestehen Kontakt- und Kennverhältnisse. Damit zählen zu dem ‚weitgehend unstrukturierten rechtsextremistischen Personenpotenzial‘ durchaus Personen, die für Aktivitäten von Parteien oder Kameradschaften mobilisierbar sind.“

Im Jahr 2017 entfielen auf die Kategorie „Rechtsextremisten in parteiunabhängigen Strukturen“ insgesamt 250 Personen (+ 30). Dahinter verbergen sich im Wesentlichen überwiegend neonationalsozialistische Personenzusammenschlüsse wie „Kameradschaften“, rockerähnliche „Bruderschaften“, „Freie Kräfte“, Vereine und sonstige Strukturen. Im Jahr 2017 wurden unverändert 20 parteiunabhängige Strukturen festgestellt, darunter sieben (- eins) rockerähnliche „Bruderschaften“ sowie die „Identitäre Bewegung Deutschlands“ mit ihren unverändert 20 Anhängern und ihren zwei regionalen Gruppen (Cottbus und Potsdam).

Nürnberger: „So unterschiedlich die Organisationsformen im Einzelnen auch sein mögen, letztendlich eint alle die rechtsextremistische Ideologie und die Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Rechtsextremisten propagieren eine Volksgemeinschaft auf rassistisch-biologistischer Basis. Hinzu tritt ein aggressiver Nationalismus gepaart mit fremdenfeindlichem, rassistischem und meist antisemitischem Gedankengut. Statt eines demokratischen Pluralismus fordern Rechtsextremisten einen antipluralistischen Volkskollektivismus.“

Seit dem Jahr 2017 wird von allen Verfassungsschutzbehörden ebenfalls die neue Kategorie „gewaltorientierte Rechtsextremisten“ verwendet. Darunter fallen Personen, die „gewalttätig“, „gewaltbereit“, „gewaltunterstützend“ oder zumindest „gewaltbefürwortend“ sind. Im Jahr 2017 waren das 1.120 (+ 110). Das entspricht knapp 70 Prozent aller dem Verfassungsschutz Brandenburg bekannten Rechtsextremisten.

2017 konnte die rechtsextremistische Musikszene in Brandenburg ihren hohen Aktivitätslevel der Vorjahre teilweise halten. Die Zahl der Bands ist auf 20 (- vier) leicht gesunken. Hinzu kamen 13 Liedermacher (- eins). Aufgrund des hohen und erfolgreichen Drucks der Sicherheitsbehörden, insbesondere der Polizei, bewegten sich die Konzertaktivitäten in Brandenburg im Jahr 2017 weiterhin auf vergleichsweise niedrigem Niveau. Fünf Konzerte (+ drei) konnten durchgeführt werden. Zwei (- drei) Konzerte wurden im Vorfeld verhindert. Zusätzlich fanden sieben (+ eins) Liederabende statt. Die Produktion neuer Tonträger lag bei zehn (- zwei).

Reichsbürger und Selbstverwalter

Die Zahl verfassungsschutzrelevanter „Reichsbürger und Selbstverwalter“ ist 2017 auf 560 (+ 120) angewachsen. Die Tendenz ist weiter steigend. Dies liegt an den nach wie vor eingehenden Meldungen der Kommunen sowie der höheren Sensibilität.

Linksextremismus

Im Linksextremismus ist das Personenpotenzial zum vierten Mal in Folge gestiegen und lag im Jahr 2017 bei 520 (+ 20). Erneut zugenommen hat ebenfalls die Zahl gewaltbereiter Autonomer auf jetzt 220 (+ zehn), während linksextremistisch motivierte Gewaltstraftaten auf 24 (- 29) gesunken sind. Demonstrations- und Blockadetrainings dienten zum wiederholten Male der Szene-Professionalisierung. Damit nimmt die Gefahr zu, dass in einschlägigen Rückzugsräumen Aktionen gegen den politischen Gegner und die Polizei geplant werden. In unverändert 13 Kommunen beziehungsweise Regionen waren gewaltbereite Autonome im letzten Jahr aktiv.

Auf einen erneuten Höchststand ist die Mitgliederzahl des Vereins „Rote Hilfe“ angewachsen. Er zählte Ende 2017 etwa 225 Mitglieder (+ zehn). Nürnberger: „In der linksextremistischen Szene ist die ‚Rote Hilfe‘ eine zwischen allen Strömungen vermittelnde Konsensorganisation. Sie kümmert sich unter anderem um Rechtsbeistand für linksextremistische Gewalttäter. Auch um solche, die Polizisten angreifen.“

Auf nur noch 50 (- fünf) Mitglieder bringt es die „Deutsche Kommunistische Partei“ (DKP). Ihre Reststrukturen werden weiter zerfallen. Diejenigen der „Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands“ (MLPD) sind praktisch nicht mehr feststellbar. Nürnberger: „Der parteipolitische Linksextremismus in Brandenburg ist am Ende.“

Islamistischer Extremismus

Innenminister Schröter: „In den letzten Jahren sind unter Ausnutzung der Flüchtlingslage auch islamistische Extremisten nach Europa eingesickert. Einige von ihnen verfügen mit hoher Wahrscheinlichkeit über Kampferfahrungen als Jihadisten. Ebenso registrieren die Sicherheitsbehörden Rückkehrer aus den Kampfgebieten. Das sind Personen, die Deutschland mit dem Ziel verlassen hatten, sich dem terroristischen ‚Islamischen Staat‘ anzuschließen. Unter den Rückkehrern sind auch Frauen und Kinder. Illegale Einreiserouten oder die Nutzung gefälschter Papiere machen es schwierig, Reisebewegungen zu verfolgen. Jihadisten agieren hochkonspirativ. Der dagegen gerichtete Aufwand der Sicherheitsbehörden ist hoch und erfordert entsprechende personelle und materielle Ressourcen.“

Die Zahl islamistischer Extremisten ist im Jahr 2017 auf 130 (+ 30) gestiegen. Knapp die Hälfte von ihnen kommt aus dem Nordkaukasus. Dortige Gruppierungen haben sich teilweise dem terroristischen „Islamischen Staat“ (IS) unterstellt. Laut Schröter ist der Anstieg des islamistischen Personenpotenzials unter anderem auf die verbesserte Erkenntnislage der Sicherheitsbehörden zurückzuführen. In immer kürzeren Abständen gehen Hinweise auf potenzielle Extremisten bei den Sicherheitsbehörden ein.

Organisatorisch sind in Brandenburg legalistische islamistische Extremisten unter dem Namen „Sächsische Begegnungsstätte“ (SBS) vertreten. Schröter: „Die SBS wird der islamistisch-extremistischen ‚Muslimbruderschaft‘ zugerechnet. Wesentliche Zielgruppe der SBS sind Zuwanderer. In Brandenburg an der Havel unterhält die Organisation bereits einen Gebetsraum. In Senftenberg und in Luckenwalde sollten weitere entstehen. Die SBS nutzt gezielt den Bedarf der hier lebenden Muslime nach Gelegenheiten zum Gebet aus. Ebenso will sie bereits auf Kinder ideologisch einwirken. Hier müssen die Instrumente der wehrhaften Demokratie wirksam zur Anwendung kommen. Integrationsfeindliche Bestrebungen von Extremisten müssen unterbunden werden.“

Ausländerextremismus

Das größte Personenpotenzial im Bereich Ausländerextremismus weist in Brandenburg die bundesweit mit einem Betätigungsverbot belegte „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) auf. Ende 2017 wurden ihr rund 80 (- fünf) Personen zugerechnet.

Zuverlässigkeits- und Sicherheitsüberprüfungen

Neben der Beobachtung extremistischer Bestrebungen wirkt der Verfassungsschutz an Zuverlässigkeitsüberprüfungen mit. Um dieser Aufgabe überhaupt nachkommen zu können, werden Daten über Extremisten benötigt. Der Verfassungsschutz bekommt sie von anderen Behörden oder erhebt sie selbst. Diese Daten von Extremisten werden in einer eigenen Datenbank erfasst und ständig gepflegt. Schröter: „Diese Datenbank ist ein wesentlicher Bestandteil unseres Verfassungsschutzes. Bei Zuverlässigkeitsüberprüfungen wird sie abgefragt. So soll beispielsweise verhindert werden, dass dem Verfassungsschutz bekannte Extremisten beruflichen Zugang zum Sicherheitsbereich von Flughäfen erlangen oder Asylunterkünfte bewachen.“ 2017 gingen insgesamt 7.155 (+ 2.151) entsprechende Anfragen beim Verfassungsschutz ein. Diese Zahl wird deutlich nach oben schnellen, wenn Tegel schließt. Denn dann ist der Verfassungsschutz Brandenburg für den Flughafen BER in Schönefeld nahezu allein verantwortlich.

Als Sicherheitsdienstleister wirkt der Verfassungsschutz ebenfalls an den personalintensiven Sicherheitsüberprüfungen mit. Betroffen sind davon Mitarbeiter von etwa 20 Behörden. 354 (+ 42) Sicherheitsüberprüfungen wurden im Jahr 2017 durchgeführt.

Verfassungsschutz durch Aufklärung

Informationsangebote des Verfassungsschutzes waren im Jahr 2017 erneut stark nachgefragt. In 96 (- sechs) Veranstaltungen wurden Vorträge gehalten. Rund 3.600 (- 400) Bürger nahmen teil. Damit summiert sich die Zahl solcher Veranstaltungen seit 2008 auf insgesamt 1.064 mit rund 39.000 Zuhörern. Ebenso wirkte der Verfassungsschutz an der erst vor wenigen Tagen erschienenen Neuauflage des „Reichsbürger“-Handbuches mit. Es gilt als Standardwerk.

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